Warum haben wir 2,5 Jahre gewartet, bis wir uns an eine Kinderwunsch-Klinik gewandt haben?
Um gleich mal eins klarzustellen: nicht "wir" sondern ich habe solange gewartet.
Mein Schatz wäre schon vorher mit mir gegangen. Klar hat er nicht gedrängt, aber er hat auch nicht verzögert.
Also warum?
Okay, Hosen runter : ich hatte Angst.
Auf der einen Seite wurde der Kinderwunsch immer größer, die Enttäuschung immer mächtiger - die Panik überwog trotzdem.
Wovor genau?
Ich nenne Euch einfach mal die Punkte in ungeordneter Reihenfolge, wie sie mir in den Kopf kommen:
- die KiWu ist die letzte Station. Wenn es hier nicht klappt - dann hilft nur noch beten oder aufgeben.
- die Hoffnungen steigen. Und dadurch kann ich auch wieder tiefer verletzt und enttäuscht werden. An das monatliche Hibbeln-Hoffen-Bangen-Weinen habe ich mich eigentlich schon gewöhnt. Nun kommt eine neue Tiefe dazu...
- ich muss mir final eingestehen, dass wir ein Problem haben. Bisher ging es mir mit "ein Sommerkind ist eh viel schöner..." und ähnlichem Selbstbetrug ganz gut.
- Ich habe bisher immer alles geschafft. Mit Fleiss, mit Arbeit, mit Glück, mit Organisation. Und nicht nur einfach so "geschafft", sondern es auch gut geschafft. Und jetzt scheitere ich an dem Natürlichsten der Welt. Was jede Sumpfralle schafft, die schwanger wird sobald ihr Höschen um die Knöchel kreist. Und egal, wie sehr ich mich bemühe, meine bisherigen Erfolgsstrategien fruchten nicht.
- Ich weiss nicht, was für Diagnosen auf uns zukommen. "Es klappt nicht" klingt freundlicher als Eileiterverstopfung, Endometriose und sonstige Krankheitsbilder, die auf uns zukommen können. Bisher zum Glück nicht eingetroffen - aber das konnten wir vorher ja nicht wissen. Und wer weiss, was noch kommt?
- Was für Methoden werden für uns in Frage kommen? Bis wohin sind wir bereit zu gehen? Was ist, wenn einer von uns weiter gehen möchte als der andere? Was ist, wenn letztendlich das Geld zum Abbruch zwingt? Wird die ICSI zur Sucht? Wenn man schon so viel Mühe und Geld investiert hat, gibt man dann einfach so auf?
- Ich hasse Fremdbestimmung. Ab jetzt gibt die Ärztin vor, wann ich welche Termine habe. Zur Zeit ist das ja noch moderat. Aber was ich in einigen Blogs gelesen habe - da sträuben sich mir die Haare. Keine Planungen mehr machen können, da man nicht weiss, ob die Eizellen morgen, übermorgen oder garnicht eingesetzt werden können. Wie heute: "Naja, dann kommen Sie am Mittwoch nochmal zum Ultraschall." Ah ja, natürlich. Der einfache Weg dauert 40 Minuten, die Warterei, die Untersuchung. Damit wären wir jetzt schon beim übernächsten Punkt...
- Wie verändern die Medikamente, die Hormone mich? Werde ich ein emotionales Wrack? Gehe ich auch auf wie ein Hefekloß, so dass ich aussehe wie im 8.Monat?
- Ich werde meinen Arbeitgeber ins Boot holen müssen, früher oder später. Wir sind ein kleiner Betrieb, ich brauche seine Rückendeckung für die spontanen Termine. Dadurch wird ein äußerst privates und intimes Problem zu einem öffentlichen. Auch wenn ich meinen Kolleginnen eventuell langwierige Zahnprobleme vorhalte - es wissen damit Menschen ausserhalb des Freundes- und Familienkreises davon, die ich nicht freiwillig eingeweiht habe.
- Wir müssen vertrauen. Unser Schicksal (und unser Geld) in die Hände der dortigen Ärzte legen. Hoffen, dass der von ihnen vorgegebene Weg der richtige ist.
Alles in allem war mir schon länger klar, dass unser Weg wohl in die KiWu führen wird.
Aber ich war noch nicht bereit dazu.
Ich musste erst viele kleine Schritte gehen, alternative Wege ausprobieren (und der Kindlein-komm-Tee schmeckt wirklich wie Karnickel-Heu!).
Dabei ist das eine Einstellung, die nicht richtig zu mir passt.
Ich bin eine rationale und relativ nüchterne Person. Was getan werden muss, das muss halt geschehen.
Mit meinen anderen Krankheiten bin ich auch bei Spezialisten - selbstverständlich!
Aber hier ist alles anders. Das geht tiefer unter die Haut, das berührt meine Seele.
Besonders hier finde ich es irgendwie strange, diesen Herzenswunsch mit der kühlen Diagnostik zu betrachten und quasi unter dem grellen Neonlicht zu behandeln.
Mein persönlichstes und intimstes Problem, der Grund für so viele unglückliche Tage (im doppelten Sinne), wird nun von fremden Menschen betrachtet, für die es das tägliche Geschäft ist.
Klar, irgendwo tröstlich. Aber auf der anderen Seite auch entwürdigend.
Waaaah, ist das irgendwie verständlich und nachvollziehbar?
Macht´s gut,
Eure seelen-gestrippte Nora