Donnerstag, 6. Februar 2014

Too much!

Stopp!
Bis hierhin und nicht weiter!

Ich habe bisher das Hohe Lied auf den Kinderwunsch-Stammtisch gesungen.
Wie gut es tut, sich mit Leidensgenossinnen auszutauschen.
Zu fluchen, verständnisvoll zu nicken, sich gegenseitig zu bestätigen.
Ein kritisches Ohr zu haben, wenn Therapiestrategien berichtet werden.
Die ein oder andere neue Idee zu haben.
Aber auch mal gemeinsam zu lachen  - und wenn es nur Galgenhumor ist.

Heute Abend ist mir aber wirklich an die Nieren gegangen.
Ich habe mich in meiner Kinderwunsch-Blase irgendwo eingerichtet, hatte mich das letzte halbe Jahr in eine gewissen Komfort-Zone hereingearbeitet. Es war nicht leicht, aber ich habe es geschafft.
Ein Zeichen dafür ist, wie selten ich hier einen Beitrag schreibe.
Es war nicht notwendig.
Natürlich geht es mir schlecht, wenn die Tage wieder kommen.
Selbstverständlich verdrücke ich die ein oder andere Träne, wenn wieder frohe Kunde von frischen Schwangerschaften kommt.
Aber es war insgesamt... ...okay.
Nicht toll, aber in Ordnung.

Was war heute Abend jetzt anders?
Ich kann es ehrlich gesagt garnicht so genau benennen.
Ich bin immer noch sprachlos im wahrsten Sinne. Der Hund konnte sich eben über eine Extra-Runde freuen, dadurch bin ich etwas runtergekommen.

Die Konstellation war an sich schon seltsam: von 9 Mädels sind zwei schwanger, eine holt sich demnächst nach einem leichten Positiv ein Negativ ab (die HCG-Werte steigen nicht wie sie sollen...), zwei stehen mit 40 Jahren in der absoluten Panik und dann noch wir drei anderen von unserer engeren Mädels-Runde.
Das Mädel neben mir stand wahnsinnig unter Druck. Kaum fing sie an zu erzählen, gab es kein Halten mehr.
Es war für sie sicherlich das Beste, sich endlich mal frei zu reden - ich konnte mich aber irgendwann nicht mehr entziehen.
Diese aufgerissenen braunen Augen, die vor Elend quasi trieften! Diese tiefe Wunde in ihrem Inneren, diese Verzweiflung, diese Trauer!
Ich sehe das noch bildlich vor mir.
Was sie und eine andere in der Runde sagten, brachte eine Saite in mir zum schwingen, die mich dann auch zum fluchtartigen Aufbruch brachte.
Sie waren sich einig, dass diese Panik am Anfang noch nicht war. Die ersten IVF´s waren so entspannt wie kaum etwas.
Sie glaubten daran, dass alles gut wird.
Und dann zieht sich der Strick zu.
Die Behandlungen zeigen keinen Erfolg, eine Enttäuschung nach der anderen. Das Geld fliesst nur so weg, die Rechnungen nach dem Negativ sind weitere Nackenschläge.
Das Unverständnis der Freunde und Familie, die gefürchtete Zahl "40", die näher rückt.
Die Angst, dass der Partner sich irgendwann eine jüngere Frau nimmt, mit der er dann immer noch Kinder bekommen kann.
Dass die Belastungen des Kinderwunsches die Beziehung zerstören.

War ich deswegen so berührt, weil ich mich vielleicht in fünf Jahren in derselben Position befinden könnte?
Eine Vision dessen, was ich durchleiden muss?

Ich merkte, dass mein Puls immer weiter stieg, dass ich mich immer unwohler gefühlt habe.
Das war der Moment, in dem ich beschlossen habe: eben reicht´s!
Zu Anfang war ich noch stolz auf mich, weil ich so relativ entspannt und im Einklang mit dem von uns gewählten Weg da sitze.
Innerhalb von eine halben Stunde ging es steil bergab - und wenn es nicht mehr gut tut, dann ist eben Schluß!

Nachdem ich mit dem Hund eine halbe Stunde durch die Nacht gestapft bin, konnte ich langsam klar sehen, was da passiert ist.
Konnte relativieren und einordnen.

1.) In mir drin schlummert immer noch die bitterböse fette Angst. Vielleicht noch nicht einmal vor der endgültigen Vision, ohne Kinder leben zu müssen. Aber vor dem Leiden, das ich durchstehen muss, bis ich diese Lebensphase durchlebt habe und es in irgendeiner Richtung weitergeht.

2.) Ich bin froh, dass ich mit meinem Schatz offen reden kann.
 Ich bin froh, dass wir kein Geheimnis daraus machen müssen und Familie und Freunde Bescheid wissen.
Ich bin froh, dass ich mir in der Gesprächstherapie Werkzeuge geschaffen habe, mit denen ich besser mit meinen Gefühlen umgehen kann.
Ich bin froh, dass ich in meiner engeren Mädelsrunde "passende" Frauen gefunden habe, die unterstützen ohne herunterzuziehen. Die einfach da sind.
Darum denke ich, dass ich insgesamt besser gerüstet bin, damit sich diese Emotionen garnicht so anstauen.
Was die zwei Mädels da so herausgelassen haben, das waren erstklassige "Lava-Rülpser". Ich kenne mich damit aus, es ist aber nicht mehr so schlimm.

3.) Ich habe Angst, dass meine erarbeitete Gelassenheit nur oberflächlich ist (ach.... echt?!?).
Dass mich die Fehlversuche und Geldmangel schutzlos in dieselbe  Panik treiben, die diese Mädels umtreibt.

4.) Ich hoffe, dass wir "alles richtig machen".
Zumindest im Rahmen unserer Möglichkeiten.
Alles im Vorfeld untersuchen lassen, um möglichst gute Bedingungen zu schaffen.
Sich informieren und diese neuen "Rädchen" in der Kinderwunsch-Klinik ansprechen. Notfalls selbstständig agieren.
Ein gutes Auge auf die Kinderwunsch-Klinik an sich werfen.
Wir vertrauen unserer Ärztin total - ich habe aber auch schon 1-2 Alternativen im Hinterkopf, wohin wir wechseln könnten.

Was für ein Abend!
Erwartet hatte ich ein gemütliches Plaudern, heraus kam ein emotionales Wirrwarr... ;-)

Na ja, jetzt sind die Fäden ja halbwegs sortiert und den Rest lassen wir mal auf uns zukommen.

Eben habe ich noch etwas mit meinen Mädels gechattet, das tut unheimlich gut!
Es sind noch ein paar andere Dinge heute Abend geschehen, die für Unruhe sorgten - Blastos, die in dieser Zahl nicht erwünscht sind (*würg*) und weiteres mehr...

So, jetzt muss ich ins Bett!
Macht´s gut,
Eure Nora


5 Kommentare:

  1. Liebe Nora,
    gut, dass du dich abgegrenzt hast.
    Wie du gehe ich gerne zu Kinderwunsch- Stammtischen
    oder ähnlichen Treffen. Bisher hat es mir immer geholfen und es war sehr schön.
    Bis auf ein Mal. Als alle nur negatives zu berichten hatten,
    da ist es mir sehr an die Nieren gegangen.
    Es ist super, dass du dich abgrenzen konntest.
    Angst haben wir alle und müssen uns schützen.
    Hoffe du hast gut geschlafen.
    ♥ Lillly

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  2. Liebe Lilly, danke für Deinen Kommentar!
    Ja, nachdem ich spazieren gegangen bin, den Blogeintrag geschrieben hatte und parallel mit meinen Mädels Kontakt hatte - danach ging es mir wieder besser.
    Ich konnte zwar etwas länger nicht einschlafen, habe aber insgesamt erstaunlich gut geschlafen.
    Jetzt ist der Abend wirklich abgehakt. Ich habe eben auch nochmal mit Schatz drüber gesprochen.
    Vielleicht ist das ja das Wertvollste an dieser quälenden Zeit: man entwickelt zum einen Strategien, wie man mit emotionalem Wirrwarr zurechtkommt, zum anderen lernt man ein intensiveres Umgehen mit dem Partner.
    Ich habe das Gefühl, wir rutschen durch diese Sache enger zusammen als es vorher der Fall gewesen ist.

    Lieben Gruß,
    Nora

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  3. Hallo Nora, ich freu mich dass es dir wieder besser geht. Keine Ahnung was das manchmal ist, ich kenne solche Stammtische nicht, ich weiß nichtmal ob es sowas "auf dem Land" überhaupt gibt ;) Es ist schlichtweg eine harte Zeit und ich glaube die Angst sitzt immer irgendwo, manchmal ist sie fast weg und dann schleicht sie sich an und kommt mit aller Macht zur Hintertür rein. Wichtig ist, dass man weiß wie man sie wieder rauswerfen kann - manchmal klappt aber auch das nicht so gut. Umso schöner ist es dass du Mittel und Wege hast die dir helfen und dir gut tun!
    Und eine extra Runde mit dem Hund ist und tut immer gut ;)
    Liebe Grüße
    J.B.

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  4. Hallo Nora,
    ich finde es auch wichtig, dass du dich abgrenzen kannst. Mir geht es wie Lilly, ich gehe auch zu solchen Treffen, ich versuche das was mir gut tut und mir hilft mitzunehmen, das andere versuche ich einfach dazulassen. Ich denke du hast einen guten Plan gefunden damit umzugehen. Und ihr könnt zuhause reden, das ist echt jede Menge wert!
    Alles Liebe

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  5. Oh bin ich froh, dass der Stammtisch hier immer so ist wie er ist! Es ist nicht immer gleich und man geht auch nicht immer in der gleichen Stimmung nach Hause, aber so aufgewühlt wie Du war ich noch nie und ich stelle es mir furchtbar vor, so durcheinander zu sein!

    Aber Liebes, Du hast Dich ja schnell wieder sortiert und die Gedanken, die Du Dir gemacht hast, werden Dich sicherlich bewahren in so eine Situation voller Verzweiflung zu rutschen und wie ein gehetztes Reh ohne Kraft zu kämpfen und aus Angst das Atmen zu vergessen!

    Auch wenn es komisch war, für irgendwas war es gut, gut für Dich!

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